Gesundheits-Apps und die MDR

Medizinprodukte der Risikoklasse I müssen mit Geltungsbeginn am 26. Mai 2020 der Medical Device Regulation (MDR) entsprechen. Grundsätzlich verlieren mit diesem Tage die vorher geltenden Richtlinien (insb. MDD und MPG) ihre rechtliche Wirkung. 

Eine Medizin-App rutscht nach der MDR in Risikoklasse IIa, wenn sie dazu bestimmt ist, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden (siehe Regel 11 aus dem Anhang VIII der MDR). Auf die meisten Medizin-Apps, welche mit ihrer Zweckbestimmung derzeit unter Risikoklasse I firmieren, dürfte diese Regel zutreffen. Der Ball liegt nun also bei den Herstellern. Wollen sie eine Klasse IIa-Zertifizierung für ihr Produkt erreichen oder streben sie den Verbleib in Klasse I an?

Die Zertifizierung für Klasse IIa erfordert ein externes Audit-Verfahren. Dazu muss eine Benannte Stelle involviert werden, namentlich sind das TÜV, DEKRA sowie andere Zertifizierungsgesellschaften. Diese Zertifizierung muss von den Herstellern beantragt werden, wobei in Anbetracht der Größe des Medizinproduktemarkts mit langen Wartezeiten für einen Prüftermin zu rechnen ist.

Am effizientesten wäre es für die Hersteller, wenn eine App auch nach der MDR und trotz Regel 11 in Klasse I fiele. Mit einer kompetenten und kreativen Rechtsberatung sind solche Wege möglich!

Schließlich bietet die MDR einen entscheidenden Vorteil: Wie bei allen neuen Regelungen weiß auch hier niemand so genau, wie die Vorschrift zu verstehen, auszulegen und anzuwenden ist. Das ist kein juristischer Kniff, sondern zunächst einmal systeminhärente Gegebenheit bei allen neuen Regelungen. Da das Recht von der Praxis mitbestimmt werden wird, gilt es, diesen Vorteil zu erkennen und zeitnah auszunutzen, bevor es die anderen tun. So kann man bestenfalls auch den Bundesbehörden zuvorkommen, die mit Durchführungsverordnungen die Anwendung und Umsetzung der MDR mitbestimmen. Schließlich lassen sich auch die dortigen Experten von der praktizierten Umsetzung der MDR inspirieren, sodass diese im Sinne der Herstellerinteressen ausfallen sollte.

So kann z.B. die Möglichkeit ausgeleuchtet werden, dass auch digitale Medizinprodukte von der sogenannten Abverkaufsregelung in Art. 120 Abs.4 MDR profitieren. Nach dieser Vorschrift dürfen Produkte, die vor dem 26. Mai 2020 entsprechend den bis dahin gültigen Regelungen (insb. MDD) rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, bis zum 27. Mai 2025 weiter auf dem Markt bereitgestellt oder in Betrieb genommen werden. Zuvörderst dachte die EU-Kommission wohl an Chargen physischer Produkte von Verbänden, Pflastern, Spritzen und dergleichen, die – einmal in den Verkehr gebracht – in den Weiten des EU-Binnenmarktes verstreut worden sind. Die Hersteller solcher Produkte sollen mit Geltungsbeginn der MDR also keinen groß angelegten Rückruf starten müssen, wenn die in der Handelskette befindlichen Produkte zuvor ordnungsgemäß zertifiziert worden sind.

Gleichwohl sind auch Medizin-Apps Medizinprodukte nach der MDR, sodass auch für die die Regelung zunächst einmal Anwendung findet.

Als weitere Hürde muss dann angenommen werden, dass von der Abverkaufsregelung nicht das erstmalige Inverkehrbringen geschützt ist. Ein Schutz zum Abverkauf besteht also nur für Produkte, die der Hersteller schon in den Markt, also aus seinen Händen gegeben hat. Fraglich ist, ob die in den Stores angebotenen Apps bereits in diesem Sinne in den Verkehr gebracht worden sind. Anders als fertig produzierte physische Produkte, können Apps flexibel bis zum Geltungsbeginn der MDR geändert und an diese angepasst werden, mit der Folge, dass in den Stores nur noch das MDR-konforme Update erhältlich wäre. In weiterer Konsequenz könnte man sagen, dass eine Medizin-App bis zum Download noch gar nicht produziert worden ist. Damit wäre sie auch noch nicht in den Verkehr gebracht.

Zum Inverkehrbringen hält die MDR in Art.2 Nr.28 jedoch eine Legaldefinition bereit. Demnach bezeichnet „Inverkehrbringen“ die erstmalige Bereitstellung eines Produktes auf dem Unionsmarkt. Diese Definition kann wiederum auf das Bereitstellen der App in den Stores angewandt werden. Es lässt sich also begründen, dass ein Abverkauf auch für Klasse I-Apps erfolgen darf!

Dieses Beispiel zeigt, dass die Hersteller von Medizin-Apps die MDR nicht einfach abwarten, sondern aktiv eine Umsetzung der MDR im Sinne ihrer Interessen anstreben sollten. Jetzt werden die weichen für den Markt gestellt. Das Ausnutzen der Abverkaufsregelung könnte mit guter Argumentation erreicht werden. Damit wären bis zu 5 Jahre Marktzugang für ein Produkt gewonnen, dass nach der MDR eigentlich eine teure und aufwendige Klasse IIa-Zertifizierung benötigt. 

Wir unterstützen Sie bei diesem Vorgehen mit kreativer und rechtssicherer Beratung.

 

Sebastian Vorberg, LL.M. (Houston)
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht

Friedrich Gottberg
Ass. jur.