Freiberuflichkeit vs. Ökonomisierung der ambulanten Systeme

Gut gebrüllt…

Das deutsche Gesundheitssystem ist reich an Ressourcen und Möglichkeiten und daher grundsätzlich auch interessant für Investoren und Private Equity. Hier schwelt jedoch ein ständiger Konflikt mit den Organisationen der ärztlichen Selbstverwaltung und mit den Standesvertretungen. Noch im Mai 2022 warnten die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), der Marburger Bund (MB) und auch der Deutsche Ärztetag 
in Feststellungen und Beschlüssen auf ihren Jahresversammlungen vor einer zunehmenden Kommerzialisierung im Gesundheitswesen aufgrund der steigenden Anzahl von Medizinischen Versorgungszentren in Investorenhand (iMVZ). Aus diesen Reihen wird die Sorge vorgetragen, dass im Zweifelsfall nur noch die Leistungen angeboten werden, die eine entsprechende Rendite versprechen. Daher müsse einer Ökonomisierung des ambulanten Systems entgegengetreten werden.

Hinter diesen plumpen Appellen für die freiberufliche Vielfalt in der Welt der niedergelassenen Ärzte steckt ein paradoxes System von wirtschaftlichen, demokratischen und sozialen Grundwerten, welches ungelöst noch viel explosiven Stoff für Widersprüche, Streitigkeiten und auch Gefahren für eine zeitgemäße Medizin in Deutschland birgt.

Einseitige Parolen von Lobbyisten und Standesvertretern sollten hier nicht die Basis einer nachhaltigen Entscheidungsfindung für die wirtschaftliche Wertebasis der ambulante Versorgung in Deutschland werden. Hier lohnt sich der Blick in die Tiefe. Die Sache ist ernst. Es geht ums Geld.

 

… muss nicht gewinnen.

Im Rahmen der Entstehungsgeschichte der ärztlichen Versorgung in Deutschland hat sich der Glaube an die Freiberuflichkeit der ärztlichen Leistung manifestiert. Mit der Gesundheit der Patienten treibt man keine Spielchen. Der Arzt soll sich ausschließlich von seinem Wissen und Gewissen leiten lassen und nicht von wirtschaftlichen Erwägungen.

Um dieses ideologische Leitbild rankt sich nun die gesamte Gestaltung und Regulation des ambulanten Gesundheitssystems in Deutschland:

 

  • Die Ärzte sollen sich selbständig niederlassen,
  • die Leistungen und ihr möglichst ausreichend gutes Honorar wird planwirtschaftlich durch das System bestimmt,
  • die wirtschaftlichen Interessen der Ärzte werden durch die Selbstverwaltung in Form der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) vertreten und bestimmt,
  • die Ethik und der Handlungsrahmen wird durch das Berufsrecht bestimmt und disziplinarisch durch die Ärztekammern überwacht,
  • die Verteilung der Ärzte in Deutschland wird durch die KVen so festgelegt, dass eine optimale Versorgung der Patienten sichergestellt ist,
  • der Arzt soll keine fachfremde Werbung machen, sich nicht an der Wertschöpfungskette bereichern,
  • und sich möglichst nicht zu wirtschaftlich denkenden Individuen oder Gemeinschaften entwickeln.

 

Der Arzt soll in seinem goldenen Käfig abgeschottet von dem bösen Streben nach Macht und Geld seine gewissenhafte Arbeit machen. Um alles Andere kümmert sich der Staat und seine Selbstverwaltung.

Das steckt zusammengefasst hinter der edlen Theorie der Freiberuflichkeit der ambulanten Ärzte. Unzweifelhaft wäre eine kapitalistische Beteiligung eines Investors in diesem planwirtschaftlichen System ein Fremdkörper und ein ideologisches “No Go”.

Diese edle Struktur wurde gutgläubig entwickelt, als politisch noch unentschieden war, ob ein planwirtschaftliches System nicht doch die bessere Sozial- und Wirtschaftsform für unsere Gesellschaft ist. Zumindest für Deutschland dürfte inzwischen jedoch gelten, dass planwirtschaftliche Systeme unter anderem zu Korruption, Fehlplanungen, Verteilungsungerechtigkeit, Versorgungsengpässen, Innovationsfeindlichkeit, Kostensteigerung, Effizienzproblemen, Bonzentum und im Ergebnis auch zum Bankrott führen.

Einige von diesen Nachteilen dürften sich in der Vergangenheit auch im ambulanten Ärztesystem eingeschlichen haben. Die Folge ist eine immer weiterreichende Regulation, die versucht den Kern des edlen aber offensichtlich fragilen Systems zu erhalten und zu sichern. Eins ist dabei allerdings heute offensichtlich: Der Versuch Macht und Geld als Einflussfaktor aus der ambulanten Ärzteschaft herauszuhalten ist umfassend gescheitert. Die Akteure der Einflussnahmen und Profilierungen finden sich hier zwar nicht in großen ökonomisch organisierten Unternehmen, sondern in der Selbstverwaltung und in den Standesvertretungen. Unabhängigkeit und Gewissensfreiheit sind aber auch hier nur selten die Grundlage der Deklarationen und Handlungen. Auch hier geht es vornehmlich um Macht und Geld.

Aus diesem Hintergrund versteht es sich von selbst, dass die Selbstverwaltung und die Standesvertretungen die Ökonomisierung des ambulanten Systems im Selbstschutz verhindern möchten. Die Sorge, dass im Zweifelsfall nur noch die Leistungen angeboten werden, die eine entsprechende Rendite versprechen, klingt in diesem Licht eher dünn und einseitig. Vielmehr sollten auch die bekannten positiven Entwicklungsmöglichkeiten einer Ökonomisierung des ambulanten Systems in die Diskussion mit einfließen, wie z.B.: Förderung für Innovation, Finanzierungsmöglichkeiten, Effektivierung und Kundenorientierung.

Es gibt sicherlich gute Gründe die ambulante Ärzteschaft nicht einfach den liberalen Wirkmechanismen des freien Marktes auszuliefern. Mit Gesundheit spielt man nicht. Die Freiberuflichkeit ist theoretisch ein guter Ansatz. Dennoch muss auch anerkannt werden, dass in dem heutigen System auch nicht alles nach Plan läuft. Macht und Geld suchen sich immer einen Weg und eine ständig sich ausweitende Regulation ist keine Lösung, sondern häufig nur ein neues Problem. Damit kann es nicht das Ziel sein die Ökonomisierung aus dem ambulanten Systemen fern zu halten. Vielmehr ist es an der Zeit eine differenzierte Diskussion darüber zu führen, an welchen Stellen der Einfluss einer selbstregulierenden Ökonomie dem deutschen Gesundheitssystem gut tun könnte und an welchen Stellen eine Gefahr für die gesundheitliche Versorgung bestehen könnte, die durch eine effektive Regulation zu kontrollieren ist und auch kontrolliert werden kann.

Freiberuflichkeit wird von den Verantwortlichen heute häufig als unabdingbar und als Selbstzweck dargestellt. Ökonomisierung wird plump verteufelt. Der weise Blick auf die Realitäten offenbart, dass ein ausgewogener Wandel in Richtung Ökonomisierung des deutschen Gesundheitssystems nötig und mit einem Blick auf die Digitalisierung nicht mehr aufzuhalten ist. Diese Entwicklung sollte nicht in den Graubereich der heutigen Regulation verbannt werden, sondern offen, vorausschauend und vorsichtig mit offenen Karten diskutiert und eingebracht werden. Die Abwehrhaltung der heutigen Machtinhaber muss hierbei als befangen bewertet werden.